Don't judge - Die Vielfalt der Mutterschaft
Heute stelle ich mich mit einem Hauch Ironie dem Thema Kritisieren, Anprangern, Besserwissen. Wir alle tun es, die meisten unbewusst. Vor allem in der Zeit der Elternschaft werden wir konfrontiert mit dem "Sich-Einmischen" und den Besserweissereien von Außenstehenden. Setzen wir gemeinsam ein zeichen für mehr Toleranz.
Von Lästern, Kritisieren und Besserwissen
Wir bewerten und urteilen. Kritisieren und prangern an. Kein Segen wie beispielweise Empathie und Liebe, sondern ein verhasstes Laster der Menschheit, ohne Hoffnung auf Besserung. Was bin ich nur für ein Pessimist. Der innerliche Kritiker an unserer Seite wird immer da sein und uns begleiten. So haben wir es erlernt, so wurden wir im Laufe des Lebens geprägt und sozialisiert. Wir fokussieren, ob es uns lieb ist oder nicht, ganz unbewusst auf die Schwächen und vermeintlichen Fehler der "anderen" und uns selber. Wie das Engelchen links und das Teufelchen rechts aus dem Lied Jein von Fettes Brot:
Es erscheinen Engelchen und Teufelchen auf meiner Schulter,
Engel links, Teufel rechts: Lechz!
"Nimm dir die Frau, sie will es doch auch
Kannst du mir erklären, wozu man gute Freunde braucht?"
"Halt, der will dich linken", schreit der Engel von der Linken,
"Weißt du nicht, dass sowas scheiße ist und Lügner stinken?"
Das Positive daran ist: wir haben die Wahl zwischen den beiden! Und wenn er sich mal nicht unterkriegen lässt können wir ihn besänftigen, ja vielleicht sogar ausschalten, indem wir uns bewusst werden:
Oha, da ist er schon wieder, das Teufelchen. Der berühmte Miesmacher.
Im Geiste könnt ihr ihn euch so vorstellen wie das Rumpelstilzchen, der nur darauf wartet, das Feuer zu entfachen und ungefragt sein Lästermaul aufzutun. Um voller Schadenfreue und Missgunst wild um das Lagerfeuer zu tanzen. Diese kraftvollen, imaginären Bilder können uns helfen, Überblick über unsere inneren Vorgängen zu gewinnen und dadurch Distanz zu schaffen. Kindisch? Vielleicht, aber genau das Kindische daran macht die ganze Sache ja so spannend. Erst dann, wenn wir unserem Kritiker einen Raum geben, dann sind wir uns dessen bewusst und können ihn im Schach halten. Und keine Sorge, wenn er einen Weg findet, um auszubuxen. Auch das hat seine Berechtigung, und darf einfach so sein wie es gerade ist. Denn es ist Teil unseres Weges.
Tatsache ist, wir selber sind ein Schmarrn im Vergleich zu dem Rumpelstilzchen. Wir sind uns gegenüber die mächtigsten Kritiker. Noch monströser als das, was von den verletzenden Anderen im Laufe der Mutterschaft daherkommt. Denn insgeheim ist da dieser permanente Vergleich, und der zerstört so manches Glück, Harmonie, Wohlbefinden. Es macht den Anschein, als würde er alles kaputtmachen, Zumindest für den Moment, indem uns gesagt wird:
Was? Du fährst alleine in den Urlaub? Wo sind denn da deine Kinder?
Oh oh. Und dahin ist das liebgewonnen Bild vom lang ersehnten Urlaub zu zweit im Wellnesshotel oder unter Palmen. Die Palmen scheinen in unserem Köpfe hängen zu lassen, das Meer verschwindet vor unserem inneren Blick und auch wir welken nur so dahin wie Trockenblumen. Traum beinahe geplatzt. Kläglich schwindet dieser an unseren Schuldgefühlen nur so dahin. Wie das rote Himbeereis, das sich in den Händen des Frühlingskindes verflüchtigt und tropfend auf dem Teppich landet, schneller als uns lieb ist. Aber so ist das eben. Halt! Aber muss es denn wirklich so sein? Wer bestimmt, was "gut" und "schlecht" für uns oder unsere Kinder ist? Und wenn wir es wissen, stehen wir auch dafür ein und schaffen wir es, uns abzugrenzen uns bei uns zu bleiben?
So wie wir es für gut empfinden heißt das noch lange nicht, dass wir gleichzeitig den Steuerkurs für andere vorgeben. Wir sind viel zu unterschiedlich, um universelle Regeln aufzustellen. Auch wenn wir oft dazu tendieren dazu, aus allem ein Dogma zu machen, nur weil WIR es für gut heißen. Und da spielen klarerweise unsere individuelle Lebensweise und unsere Erfahrungen mit hinein. Wenn wir etwas oder jemandem bewerten, dann nach unserem inneren Plan mit vielfältigen Richtlinien und Vorstellungen, wie etwas oder jemand zu sein hat. Wie FAMILIE zu sein hat und wie sie auszusehen hat. Wir sortieren fleißig wie Wiesel die Welt in 2 Lager : Richtig oder falsch. Aber was, wenn die Lösung genau in der Mitte liegt? Oder gar dieses Etwas oder Jemand von der Norm abweicht? Dann klingen plötzlich die Alarmglöckchen und das Rumpelstilzchen zeigt sich von seiner uncharmantesten Seite. Wir geben ungefragt Tipps und Ratschläge, weil WIR wissen, wo der Hase läuft. Dabei vergessen wir, dass jedeR ein Recht darauf hat, selbständig Erfahrungen zu machen, ohne vorherige Regieanweisung. Und damit ist nicht gemeint, auf Inputs und Lernerfahrungen von anderen zur Gänze zu verzichten und sie sofort über Bord zu werfen.
Denn das ist viel nachhaltiger für unseren eigenen, individuellen Lernprozess. Alles andere, was "von oben" oktroyiert ist, ist im Grunde nichts anderes als ein leeres Konzept ohne jegliche nachhaltige Wirkung auf uns und unser Leben. Kein Nährboden für ein gesundes Miteinander sondern eher ein Krisenherd, der oft unterschwellig vor sich hin köchelt. Noch schlimmer wieder dieser Krisenherd, wenn wir versuchen, uns mit noch so durchdachten, klugen Argumenten gegen das gutgemeinte Reden der BesserwisserInnen und den KritikerInnen zur Wehr zu setzen. Denn lasst euch gesagt sein (und das ist definitiv kein Ratschlag sondern nur eine meiner Ideen): Es bringt nichts.
Sie werden stur ihren eigenen Lebensweisheiten folgen, auch wenn sie letzten Endes einsehen mögen wie eigensinnig und manchmal sogar respektlos sie im Grunde selber sind. Auch wenn sie es uns vorwerfen á la:
Du lässt dir nie was sagen!
Der Grat zwischen Einmischung und Ideengebung ist definitiv ein schmaler.
Einmischerei versus Zurückhaltung
Dazu greife ich auf ein Erlebnis zurück, das viele Jahre zurückliegt. Das Fräulein befand sich inmitten der sogenannten Trotzphase bzw. Autonomiephase.
Sonntagsausflug im Tal der Wölfe. Herr W., das Fräulein und ich befanden uns auf den letzten 200m unseres Zieles, einer Raststation. Plötzlich stoppte das Fräulein und begann wild herumzuschreien. Aus Protest und Unbehagen, gepaart mit Müdigkeit und dennoch jeder Menge überschwappender Energie, die genau jetzt zum Ausbruch kam. Da wir Eltern mit solchen alterstypischen Situationen eigentlich immer ganz gut klarkommen, verhielt es sich dieses Mal jedoch komplett anders. Die Situation schien aus dem Ruder zu geraten, denn das Fräulein dachte nicht im geringsten Sinne daran, lauthals herumzuschreien. Beruhigung nach Entladung der Wut? Von wegen? Vielleicht lag es an den Sternen oder der Mondkonstellation der Vortages (so eines der Versuche einer Freundin, nach Gründen zu suchen) , Fakt war: es war nichts zu machen außer ausharren und abwarten bis das Gas noch grüner wurde. Uns war klar: wir sind einfach da. Präsent und stets an ihrer Seite so wie der urige, riesige, sich bereits aufspaltende Baum gleich nebenan. Das gab ihr wohl Sicherheit, aber gleichzeitig auch die Sicherheit, noch stärker mit uns zu interagieren. Eine halbe Stunde verging, unsere Freunde hatten uns bereits verlassen, was jedoch nichts an der Situation veränderte, ja vielleicht sogar verschlimmerte. Weder "gutes Zureden", diverse Ablenkungsmanöver oder gezielte Themenwechsel fanden Anklang, und die benachbarten, zutraulichen Rehe suchten das Weite. Wir wurden in unserer Wortwahl noch klarer, und Herr W versuchte sie zum Ziel zu tragen. Der Versuch scheiterte jedoch kläglich, denn das Schreivolumen intensivierte sich um ein Vielfaches. Ich begann, wohl in der Hoffnung, Dynamik oder eine ersehnte Wende nach etwa einer Stunde im Anhaltemodus herbeizuführen, und machte mich Richtung Raststation auf. Während sich das Tierreich aus unserem Blickwinkel entfernte, wurden andere Besucher des Waldes wie ein Magnet von dem Krawall angezogen: SonntagsausflüglerInnen. Just in dem Moment, wo Herr W und ich uns bereits in Distanz in etwa 20m Luftlinie zum Fräulein befanden. Wir befanden uns wohlgemerkt stets bewusst in Blickkontakt zu ihr gewandt in geringer Entfernung, als sich sich zielstrebig eine Frau in den 30ern anbahnte. Sie war uns bekannt aus dem TV, wie wir im Nachhinein feststellten, und begann über uns Eltern kopfschüttelnd in indirektem Kontakt zu uns Eltern, jedoch zu ihrer Begleitung gewandt aber dennoch klar und mehr als deutlich abzulästern á la : "Wie kann man das arme Kind nur so rücksichtlos zurücklassen? "
Ihre scharfen Blicke "was bist du bloß für eine Mutter?!" trafen mich, und sie näherte sich dem noch immer wütenden Kleinkind, um die Lage genauer zu inspizieren.
Der Moment kann alles was davor Stattgefunden unter sich begraben. Er täuscht über vieles hinweg
Ich könnt euch nun erzählen, wie oder ob wir auf die Kommentare reagierten, und wie sich das Fräulein allmählich entspannte, aber das würde hier wohl den Rahmen sprengen. Denn im Grunde geht es mir bei dieser Geschichte um etwas Fundamentaleres. Um kurze, unzusammenhängende Momente, die wir Menschen ungefiltert und voll von Emotionen wahrnehmen. Die uns dazu anregen, in der Hitze des Gefechtes Hypothesen aufzustellen, die weit entfernt sind von jeglicher Realität. Die uns vereinnahmen und uns dazu antreiben, das Gegenüber zu bewerten, ohne es zu kennen. Ob Kind oder Eltern, hier wird alles über einen Kamm geschert. Dass JEDES Kind individuell reagiert ist einerseits Temperamentsache, anderseits total situationsabhängig. Es ist auch für uns Eltern eine immerwährende Herausforderung, mit Emotionen umzugehen, eine Balance zu finden, nicht nur im Kleinkindalter. Es betrifft uns Erwachsene genauso, denn Emotionen begleiten uns bis zu unserem letzten Atemzug. Den Grund hinter Wutausbrüchen zu verstehen ist manchmal nicht einfach. Unsere Aufgabe, einen "Grund" zu erörtern kann sich umso frustrierender für uns herausstellen, je verbissener wir an die Sache gleich einem Ermittler am Tatort, herangehen. Denn oftmals steckt hinter einem emotionalen Ausraster nur ein Ventil für ein Konglomerat an Frustrationen, die genau JETZT an dem am unpassendsten erscheinenden Ort und zwar genau an dieser Stelle ohne Aufschub freigesetzt werden möchten. Und schon platzt die Bombe.
Es sind die Menschen, die das Kind durch sein Leben begleiten, die am Nächsten zu ihm sind. Ihnen sind die Charakterzüge, das Wesen des Kindes am meisten vertraut. Sie haben den großen Vorteil im Vergleich zu Außenstehenden: sie werden durch ein Band ein Leben lang miteinander verbunden sein. Und zwar ganz besonders in diesen Situationen. Auch wenn sich diese im ersten Moment tragischer denn je und ungemein dramatisch anfühlen, steckt meist viel mehr dahinter, als außenstehende Passanten wahrzunehmen vermögen. Jedoch ist dies auf den ersten Blick nicht sichtbar. In vielen Fällen leiden folglich Wertschätzung und Respekt unter dem Millisekunden-Check, den wir innerlich vornehmen.
Diese Situation hat mir leider auch wieder einmal vor Augen geführt, wie mit gesellschaftlichen Themen der sogenannten "negativen" Emotionen wie Wut, Ärger, Frustration etc. in der Öffentlichkeit umgegangen wird, und wie sehr wir nach einem Schuldigen Ausschau halten, der die Situation angeblich provoziert hat. Und schon sind wir wieder bei unserer Rastereinteilung: Gut uns Böse, Richtig und Falsch, Täter Opfer.
Als ich vor kurzem eine Doku im Fernsehen sah, musste ich schmunzeln, als von der genannten TV Journalistin und ihrem Blog berichtet wurde. Feminismus, Familiengeschichten mit Kleinkind.
Ob sie sich an unsere Begegnung im Wald bei den Wölfen erinnern können würde?